Der Fotograf im Ballonkorb. Eine Vorgeschichte digitalen Kartografierens
Michael Kempf
›Der Fotograf im Ballonkorb.
Eine Vorgeschichte digitalen Kartografierens‹
Vortrag im Rahmen des Kompaktseminars
›Welt vermessen‹
Donnerstag, 25.01.2018, 12 Uhr
Case, Große Witschgasse 9 – 11
50676 Köln
„Reality capture for everyone“, so lautet der Werbeslogan für den Leica BLK360 Laserscanner, den die KHM erworben hat. Das Versprechen, die Welt in einer exakten Kopie speichern zu können, erinnert dabei an Erwartungen, die sich im 19. Jahrhundert bereits mit der Erfindung der Fotografie verbanden. Wenn diese aufgrund ihrer Bindung an die Regeln der Geometrie Abbildungen von mathematischer Genauigkeit hervorbrachte, so musste in Umkehrung auch eine Rekonstruktion der auf den Bildern repräsentierten Gegenstände und Landschaften möglich sein. Albrecht Meydenbauer, einer der Väter des heute als Photogrammetrie bekannten Verfahrens, warb deshalb für die Schaffung eines „Denkmälerarchivs“, in welchem alle bedeutenden Monumente der Welt für den Fall ihrer Zerstörung in Form von Messbildern verwahrt gewesen wären.
Mit der Photogrammetrie aus der Luft, die bis zum Ersten Weltkrieg aus Ballons und Luftschiffen geschah und sich vor allem mit dem Namen Theodor Scheimpflug verband, einem ehemaligen k.u.k. Hauptmann, entstanden zudem auch erste fotografische Kartenbilder. Während wir heute durch Dienste wie Google Maps an Ansichten dieser Art gewöhnt sind, bestanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gegensätzliche Auffassungen über deren Nützlichkeit. Manch einem schien es, als ob nun das alte Phantasma einer perfekten Karte, auf der sich alle Gegenstände eines Gebietes verzeichnet finden, Wirklichkeit werden könnte. Weiter wurde angenommen, dass fotografische Karten im Gegensatz zu herkömmlichen Karten, die auf einem Vorrat an künstlichen Symbolen beruhen, durch ihre naturwahre Wiedergabe der Landschaft von jedem mit Leichtigkeit zu lesen wären – ganz so, wie ein einfaches Foto im Alltag von jedem verstanden werden kann. Hatte die Kartografie seit den mittelalterlichen Mappae mundi mit zunehmender Abstraktion nach und nach ihre bildhaften Elemente verloren, sodass kaum jemand noch von einer Kartenkunst sprechen wollte, so schienen im Wirklichkeitseindruck von Scheimpflugs „Photokarte“ Welt und Repräsentation wieder deckungsgleich zu sein.
Der Vortrag möchte die ersten Versuche zu einem fotografischen Vermessen und Kartografieren nachzeichnen, welche stets mit Speicherfantasien in Zusammenhang standen. Dabei sollen nicht zuletzt Parallelen zu heutigen Mapping-Methoden aufgezeigt werden.