Sissy Schneider
Case #29
Vermutung für dieses Bild:
Sissy Schneider arbeitet mit analogen Bildarchiven, die aus familiären Nachlässen entstammen. Die Künstlerin durchforstet diese Sammlungen und erstellt eine subjektive Auswahl. Zu sehen sind meist alltägliche, familiäre Situationen, wie zum Beispiel Kinder beim Spielen oder typische Urlaubsmotive. Diese „Waisenkinder“, wie Schneider selbst die aufgespürten Artefakte nennt, geben keinerlei Informationen zu Ort und Datum der Aufnahme preis. In einem nächsten Schritt lädt die Künstlerin die zuvor eingescannten Motive mit Hilfe der Google-Bildersuche hoch. Google vergleicht das ausgewählte Foto mit Millionen Bildern im Netz und zeigt dazu eine Auswahl optisch oder inhaltlich ähnlicher Fotos an. Bilderkennungs-Algorithmen können heute sowohl oberflächen- wie auch motivbasiert Fotos auslesen und ähnliche oder gleiche Bilder finden.
Aus den Ergebnissen der Bildersuche trifft Schneider eine Auswahl und erstellt pro Motiv eine digitale Anordnung des Ursprungsbildes zusammen mit ausgewählten Treffern der Bildersuche. Die finale Arbeit sind großformatige Prints mit seriellem Charakter. Im Arbeitsprozess wird somit das zunächst analoge Bildmaterial in den digitalen Raum überführt, um digitale Bilder ergänzt, um schlussendlich wieder als physisches Objekt im Rahmen konserviert zu werden.
In der Case-Ausstellung „Vermutung für dieses Bild“ zeigt die Künstlerin neun dieser collagenartigen Bilder. Der Titel der Ausstellung verweist sowohl auf die Ungewissheit über die Herkunft der Bilder als auch auf die Anwendung der Google-Suchmaschine: Jedem Suchergebnis wird der Satz „Vermutung für dieses Bild:“ vorangestellt.
Die Titel der Bilder, zum Beispiel „Vermutung für dieses Bild: Gänseschwimmring, Stand: 16.11.2018, 07:35 (0,80 sek.)“, weist auf den Tag der Bildsuche hin und belegt die Zeit, die der Algorithmus benötigt, um eine Auswahl von ähnlichen Bildern zu finden. Ebenso verrät der Titel der finalen Arbeit, welche Fotografie das Ausgangsbild für die Bildsuche war.
Durch Schneiders Vorgehensweise entstehen absurd-poetische Kombinationen aus Ausgangsbildern und Suchresultaten, die neue Narrationen zulassen. Viele Bilder, auf einem weißen Hintergrund zusammengebracht, verbinden sich zu einer Bilderzählung, die ihren Ursprung in unterschiedlichen Zeiten und Kontexten hat, deren Zusammensetzung jedoch einer nicht ganz korrekt arbeitenden künstlichen Intelligenz zuzuschreiben ist.
[AG]