Anne Arndt
Case #27
Von Tieren und Pflanzen
Betritt man den Ausstellungsraum Case, deutet nichts auf eine Kunstausstellung hin. Das grüne Logo an der Tür ist entfernt, im Inneren findet man ein Wartezimmer vor: Plastikschalensitzreihen, in der Ecke steht eine leere Garderobe, grauer Teppichboden, ein verstaubter Benjamin sucht Licht am Fenster. Die große Fensterfront ist in der Mitte der Scheiben mit Folien abgeklebt, sodass der Raum von außen nicht einsehbar ist. An einer Wand steht ein Automat, daneben ein Regal mit unterschiedlichen Broschüren. Tritt man näher heran, begreift man, dass es sich um was für ein Wartezimmer handelt, die Broschüren geben thematische Hinweise: Sie bieten Hilfe bei häuslicher Gewalt, informieren über Beratungsstellen bei sexuellen Übergriffen, auch eine Heft des weißen Rings liegt aus. Der Ausstellungsraum scheint sich über die Nacht in eine Anlaufstelle für Opfer von sexueller Gewalt verwandelt zu haben. Der Automat enthält – anders als erwartet – keine kleinen Snacks und Getränke, sondern Waffen zur Selbstverteidigung. Alle Waffen sind rosa und können durch Einwurf von ein paar Euros erworben werden.
Anne Arndt reinszeniert detailgetreu einen realen Raum. Durch die Verschiebung einer wirklichen Situation in den Kunstkontext werden Eigenheiten dieses Arbeitsbereiches sichtbar: So ist auf dem Plakat zur Ausstellung eine Zeichnung eines Mannes und einer Frau zu sehen. Diese Zeichnung stammt aus einem Spurensicherungspaket, das für die Untersuchung von Vergewaltigungsopfern konzipiert wurde. In der gezeichneten Anleitung des Pakets ist der Krankenhausangestellte, der die Beweisaufnahme macht, ein Mann. Eine Broschüre der Polizei – zu finden in dem Broschürenregal des fiktiven Wartezimmers – gibt Tipps, wie Frauen vermeiden können, im öffentlichen Raum Opfer von sexueller Gewalt zu werden. Diese Hinweise legen die Verantwortung für Unversehrtheit vollständig in die Hände der Frauen. An einer Wand hängt ein Monitor, der auf Google Street View die Rekonstruktion der Wege zeigt, die Frauen gegangen sind, nachdem sie, nach unter K.O. Tropfen begangenen Vergewaltigungen, aufgewacht sind. Eine Tonebene liest Verhaltensanweisungen der Polizei für Opferschutz vor, die unter anderem auf die Benutzung von Waffen verweist.
Anne Arndts künstlerische Setzung ist im besten Sinne aufklärerisch: durch die Verschiebung eines realen Raumes in den Kunstkontext ist es möglich, sich Mechanismen von Tatdokumentation und Opferbetreuung anzuschauen und das tabuisierte Thema – sexuelle Gewalt – in einen anderen Rahmen, als dem der persönlichen Betroffenheit, zu reflektieren. Der Titel ist einem Zitat von Hegel entnommen „Frauen können wohl gebildet sein, aber für die höheren Wissenschaften, die Philosophie und für gewisse Produktionen der Kunst, die ein Allgemeines fordern, sind sie nicht gemacht. Frauen können Einfälle, Geschmack, Zierlichkeit haben, aber das Ideale haben sie nicht. Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist die des Tieres und der Pflanze: das Tier entspricht mehr dem Charakter des Mannes, die Pflanze mehr dem der Frau, denn sie ist mehr ruhiges Entfalten, das die unbestimmtere Einigkeit der Empfindung zu seinem Prinzip erhält (…).“
G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1970, S. 319 (Zusatz zu Paragraph 166)
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