Daniel Shaw
Case #12 — The rote Faden
Wie ein langes Band zieht sich eine Reihe kleinformatiger Fotografien durch den Ausstellungsraum. Die Fotos, auf einfachem Papier gedruckt und in einer Größe, die an Drogerie-Formate erinnert, wurden von Shaw zwar schlicht, jedoch überaus akkurat an die Wand geklebt. Unwillkürlich sucht man nach dem im Ausstellungstitel genannten ›Roten Faden‹, der zunächst nicht erkennbar ist. Der Fotograf scheint wie ein Flaneur ziellos durch die Stadt gestreift zu sein, immer dann fotografierend, wenn etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Die so gefundenen Motive sind von ähnlicher Alltäglichkeit, wie die Präsentation der Fotos: Shaw fotografiert Markisen, geparkte Autos, Klingelschilder, Häuserwände. Ungewöhnlich werden seine Bilder,
genau wie die Präsentation, durch sein unsichtbares, jedoch strenges Konzept, ausnahmslos alle Bilder, die er fotografiert, auch zu zeigen. Es gibt kein Löschen von Dateien, kein Editieren. Durch dieses Verfahren gelingt es Shaw, den Akt des Fotografierens selbst sichtbar zu machen. Wir als Betrachter werden Beobachter der sonst im verborgenen bleibenden Momente des Bild-Findens, der Suche nach dem richtigen Ausschnitt, dem richtigen Standpunkt und ja – sogar der Suche nach einem fotografischen Thema. Wie in einer Erzählung gibt es ruhigere Passagen und Stellen, an denen sich der Plot verdichtet, so zum Beispiel bei der Reihe Fotos, die das hinter einer Häuserecke hervor schauende Heck eines PKWs zeigen: Backsteinmuster, sandfarbene und gelbe Fassaden, das Grau des Pflasters und des Autos. Shaw bewegt sich mit der Kamera kaum merklich vor und zurück, nach rechts und links – ohne große Worte erinnert er uns an die zwar bekannte, jedoch immer wieder bei der Rezeption vernachlässigte Tatsache,
dass eine Fotografie nie einfach da ist, sondern stets ein komponierter Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhang ist, den der Fotograf bestimmt. [WE]