Photographic Utopia Ausstellung
Wie könnte eine fotografische Utopie oder eine utopische Fotografie aussehen?
Werden die Kameras der Zukunft überhaupt noch von Menschen bedient?
Wie können sich Motive, gesellschaftliche oder dokumentarische Schwerpunkte oder Material verändern?
Diese Fragen bilden in der Ausstellung “Photographic Utopia” die Grundlage des Versuchs, sich eine mögliche Fotografie der Zukunft vorzustellen. Dabei erscheint es in einer Zeit der rasanten technologischen Weiterentwicklungen fast unmöglich, die Folgen für uns als Gesellschaft vorherzusehen. Die alltägliche Nutzung von (bildgebender) Technik und der ständige Konsum einer virtuellen, oftmals auch einer utopischen Welt, kann zu einem Gefühl einer Dystopie führen. Die tägliche Verweildauer vor Bildschirmen liegt in Deutschland durchschnittlich bei etwa fünf Stunden, wovon wir einen Großteil dieser Zeit vermutlich mit unserem Smartphone verbringen. Die Welt wird zunehmend durch Screens wahrgenommen und die reale Welt immer mehr durch eine virtuelle ersetzt.
In der Ausstellung werden Arbeiten von Studierenden der Kunsthochschule für Medien Köln gezeigt, die sich unter anderem mit der Begegnung im virtuellen Raum und dem damit einhergehenden Prozess der Digitalisierung von Material und Oberflächen auseinandersetzen.
Themenfelder sind die Kommunikation zwischen Menschen und humanoiden Wesen oder Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML).
Kristina Lenz geht in ihrer Arbeit “Far above the clouds” in den Dialog mit einer künstlichen Intelligenz und fragt, wie ein fotografisches Bild in der Zukunft aussehen könnte. Das „Gespräch” kann auf einem an der Wand installierten Tablet verfolgt werden. In unmittelbarer Nähe zum Device hängt ein gerahmtes, großformatiges Bild, in dem Lenz das von der KI beschriebene Bild in einen dreidimensionalen Raum übertragen hat.
Grundlage für die Landschaftsansichten in der Arbeit “Intelligent Landscapes” von Sophia Gamboa bilden Drohnenaufnahmen, die ursprünglich zur Überwachung von Feldern in der Agrarwirtschaft dienten. Mithilfe von KI hat die Künstlerin die Aufzeichnungen fragmentarisch neu zusammengesetzt. Dadurch entstehen malerisch anmutende, fiktive Welten.
Der Malerei mit dem Titel „Clemens” von Gina Bojahr geht fotografisches Bildmaterial als Motivvorlage voraus. Mit dem Smartphone aufgenommene Bilder und LiDAR-Scans wurden mittels einer App in ein 3D-Modell umgerechnet. Das Ergebnis, bestehend aus Glitches und digitalen Oberflächen, überträgt Bojahr in ihre Malerei.
Luise Flügge zeigt in der Arbeit „Fragment” ein computergeneriertes Bild. Ausgehend vom zweidimensionalen Medium Fotografie transferiert die Künstlerin die Bildinformationen in den dreidimensionalen Raum. In einem Leuchtkasten sieht man eine Schwarz-Weiß-Darstellung eines virtuell erzeugten Steins, in dem sich der Abdruck eines menschlichen Gesichts befindet.
Die Beschäftigung mit dem Portrait spiegelt sich auch in der Arbeit “Texture 0-3” von Patricia Falk wider. Die Künstlerin hat Personen aus ihrem Bekanntenkreis porträtiert, diese Fotografien auf einem transluzenten Material ausgedruckt, um den Portraitierten diese als Maske dann wieder aufzusetzen. Anschließend hat sie die nun bedeckten Gesichter fotogrammetrisch abgetastet und in Form von Drucken auf Latex rematerialisiert.
Zwei gerahmte, nebeneinanderhängende Prints zeigen zwei identische Gesichter. In der Arbeit “unlimited edition” von Alexandra Hennig wurde die fotografische Oberfläche mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms manipuliert. Nach dem künstlerischen Eingriff gleicht die Erscheinung der real abgelichteten Person der eines künstlichen Wesens.
In Giorgi Gedevanidzes Videoarbeit „Chair” ist ein in 3D erstellter Stuhl im virtuellen Raum zu sehen. Aus dem oberen Bildrand schlängelt sich organisch ein Seil um die Form des Stuhls. Die meditative und scheinbar die Gesetze der Schwerkraft aushebelnde Bewegung lässt die Sequenz surreal erscheinen.
Die Bilder von Soojin Ok wurden mit einer Software in einzelne Elemente fragmentiert und anschließend zu abstrahierten, digital anmutenden Bildwelten zusammengesetzt. Das Ausgangsmaterial für die fotografischen Arbeiten mit dem Titel “Defekte Welt” stammt aus dem Bildarchiv der Künstlerin.
Mengting Xings Videoaufnahmen “Your View” sind unter anderem während ihrer einreisebedingten Quarantäne in einem chinesischen Hotel entstanden. Ihre einzige Verbindung zur Außenwelt war damals der Ausblick aus ihrem Zimmerfenster. Von dort aus zeichnete sie Szenen der Stadt auf und legte den Fokus mittels digitaler Bearbeitung auf ausgewählte Details ihrer Beobachtungen.
Wie beeinflusst eine zukünftige Fotografie die Motivfindung in unserer Welt?
Johann Husser dokumentiert in seiner Arbeit “proposal for a city” den städtischen Immobilienboom. Auf bedruckten Textilbahnen sind 3D-Visualisierungen von Neubauten zu sehen. Die fotorealistischen Renderings zeigen zukünftige Bauvorhaben, perfekt designte Interieurs und zukünftige Bewohner*innen. Husser manipuliert seine Fotografien und erschafft neue Bildwelten, die er mit identischem Repräsentationsmaterial in den Ausstellungsraum überträgt.
Die Videoarbeit „transgenic” von Clara Kulemeyer beschäftigt sich mit dem Eingriff der Firma Monsanto (Bayer) in die Landschaft Argentiniens, durch den eine immer größer werdende Fläche Land für den Anbau von Monokulturen vereinnahmt wird. Der Titel „transgenic” verweist sowohl auf die Methode, Pflanzen genetisch zu verändern, als auch auf den eigenen künstlerischen Eingriff.
Victor Beger setzt sich in seiner Arbeit „Schichtenschacht” mit der inzwischen stillgelegten Halde Haniel in Bottrop auseinander. Ein Teil seiner Arbeit besteht aus einer Lüftungsabdeckung, auf der die fotografische Dokumentation des Ortes angebracht ist. Die Fotografie zeigt die spiralförmige und utopisch anmutende Architektur der Halde.
Im Netz gefundene Bilder von Naturschauspielen verarbeitet Kihuun Park in seiner Installation “(in) visible spectacle”. Zwei auf Folie gedruckte Motive zeigen digitale Bildcollagen, die zugleich malerisch wie abstrakt wirken. Auf dem Boden befindet sich ein Kubus-ähnliches Objekt, in dem sich Fragmente weiterer Collagen befinden und für die Betrachter*innen einsehbar sind.
Hye Young Sin hat sich und ihre Zimmerpflanze seit Beginn der Pandemie fotografisch dokumentiert. In Zeiten der Kontaktlosigkeit sucht Sin die Kommunikation mit der Außenwelt, indem sie die Fotografien als Postkarten produziert. Als Präsentationsform für die Arbeit “Valentin und Hye” dient ein Postkartenständer, in dem die Künstlerin die Ansichtskarten so arrangiert, dass der auf den Postkarten abgebildete Körper der Pflanze eine räumliche Dimension erhält.
Der Akt des Fotografierens und die alltägliche Nutzung von Bildmaterial hat sich verändert und erweitert. Durch das Smartphone können wir unsere Umgebung fotografisch und filmisch abtasten. Gleichzeitig zeichnen unsere Geräte Unmengen von Daten auf, die unser Verhalten oder unsere Bewegungsmuster dokumentieren. Bilder sind heute fester Bestandteil unserer Kommunikation. Sie werden verschickt, geteilt, verlinkt und auf den Servern großer Tech-Unternehmen gespeichert. Die Folgen der stetig wachsenden Bildarchive sind nicht abzusehen.
Mohamad Sabbah zeigt in der Arbeit “trip#1_event.horizon_ﺳﻘﻂ ﻛﻞ ﺷﻲء” Folie gedruckte Bilder aus seinem Instagram-Archiv. Die Prints sind hängend installiert und bilden zusammen eine raumgreifende Installation. Auf die Folien projiziert Sabbah die Aufnahmen einer Überwachungskamera, die die Installation abfilmt.
In Lynn Al-Abiads gerahmter Papierarbeit “What if Flowers destroyed my Home?” ist eine Fotografie zu sehen, die sie am 4. August 2020 aufgenommen hat, dem Tag der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut im Libanon, deren Aufnahmen viral um die Welt gingen. Die Fotografie eines Autos mit zerborstener Windschutzscheibe, auf der ein Blumenstrauß liegt, wird in einem von der Künstlerin erstellten fiktiven Zeitungsartikel inszeniert und als zukünftiges „Relikt” der heutigen Zeit ausgestellt.
Die Frage nach Motiven der Zukunft bearbeitet Ivana Pavlickova in ihrer Arbeit “Planetary Resident: Geopolitics of Desire”, in der sie den Einfluss technologischer Entwicklungen auf die menschliche Erfahrung untersucht. Zu sehen ist ein digital angefertigtes Bild eines Cyborgs.
Wie ein Portrait der Zukunft aussehen könnte, zeigt Setareh Karimi in ihrer Arbeit “Abstract Eternity”. Ein von ihr fotografierter Glaskopf erscheint wie ein virtuelles Wesen. Die Visualität der Fotografie stellt die Frage nach der Unterscheidung zwi-schen real fotografierten und digital generierten Bildwelten.
Der Künstler Zeng Zexuan ließ sich per Google Maps zu Orten mit dem Namen Utopia navigieren und dokumentierte die vorgefundenen Zielorte, darunter eine Bar, eine Bibliothek und ein Museum. In der Arbeit “Untitled Utopia Project” zeigt er die digital aufgenommenen Bilder als Plakate auf einer von ihm entworfenen Litfaßsäule.
Für die Arbeit „Copyshop” nutzt Julian Quentin erworbenes Stock-Image-Material einer Bildagentur und setzt die Motive für seine Fotohintergründe ein. In diesem Setting inszeniert er Personen und kreiert utopische Welten. Diese präsentiert Quentin auf zusammengesetzten DIN-A4-Bögen und greift so den Herstellungsprozess seiner Arbeit wieder auf.
Mit Arbeiten von: Lynn Al-Abiad, Victor Beger, Gina Bojahr, Patricia Falk, Luise Flügge, Sophia Gamboa, Giorgi Gedevanidze, Alexandra Hennig, Johann Husser, Setareh Karimi, Clara Kulemeyer, Kristina Lenz, Soojin Ok, Kihuun Park, Ivana Pavlickova, Julian Quentin, Mohamad Sabbah, Hye Young Sin, Mengting Xing, Zeng Zexuan
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